Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Ravensburg

RS9 Trassenvarianten aus [4]

RS9 Trassenvarianten aus [4] © Stadt Weingarten

Gemeinderat Weingarten stimmt beim Radschnellweg für Umweg

Am 22. April stimmte der Gemeinderat Weingarten über die Trasse des Radschnellwegs Baindt - Friedrichshafen ab. Leider wurde die Umwegstrecke um die Innenstadt herum favorisiert. Unser Vorschlag der zentralen Trasse auf der L313 fiel durch.

Vergleich der Trassenvarianten V1/V2 und V3 für den RS9 in Weingarten

Trasse V1/V2

In der Abstimmung geht es um die Trasse des RS9, nicht um eine bestimmte Realisierung, die in Folge von Verkehrsplanern ausgearbeitet werden wird. Daher nur kurz zur Info:
V1: separate Fahrradstraße parallel zur L313, z. B. RS9 auf der Promenade
V2: je ein 3 m breiter Radweg oder Radfahrstreifen in beide Richtungen

Der ADFC bevorzugt die Trasse V1/V2 entlang der Waldseer und Ravensburger Straße. Sie erfüllt entgegen der Befürchtung einiger Bürger die Anforderungen an einen Radschnellweg bezüglich Geschwindigkeit und Wartezeiten an Knotenpunkten; es sind ja typisch nicht alle Ampeln rot. Bei Messfahrten mit 30 km/h (gemäß [1], 3.6) auf freier Strecke ergab sich für die 3,2 km lange Strecke durch Weingarten eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 km/h und eine durchschnittliche Wartezeit von 1,5 min an Ampeln. Dies entspricht den Vorgaben für Radschnellverbindungen: 20 – 25 km/h und maximale Wartezeit von 30 s pro km innerorts [1].

Unsere Gründe für die Trassenvariante V1/V2:

  1. Direkte, intuitive Wegeführung
  2. Kurze Strecke, kurze Fahrzeit: Die Trasse V1/V2 ist 500 m kürzer und spart mehr als eine Minute Fahrzeit gegenüber V3.
  3. Sehr hohes Potential an Nutzern von 5100 – 6300 täglich [2]
  4. Trasse wird heute schon viel von Radfahrern genutzt.
  5. Sehr gute Erschließungsfunktion des Ziel-/Quellverkehrs, insbesondere der Innenstadt von Weingarten und der Hochschulen
  6. Reduzierung des MIV in der Ortsdurchfahrt Weingarten durch die Stärkung des Radverkehrs

Natürlich hat die Trasse V1/V2 auch Nachteile:

  1. Wartezeiten an Kreuzungen mit Ampeln
  2. Konflikte mit Fußgängern
  3. Konflikte mit Bussen
  4. Grundstücksausfahrten
  5. Zusätzlicher Flächenverbrauch für Radschnellweg
  6. Hohe Umbaukosten

Die Nachteile werden aber von der Verwaltung in unzulässiger Weise hervorgehoben und teilweise falsch dargestellt. Unsere Kommentare und Vorschläge dazu:

  1. Es gibt 8 (Richtung Süd sogar nur 7) Kreuzungen mit Ampelsteuerung.
    V3 hat nur eine Ampel-Kreuzung weniger (siehe V3 unten).
    Typisch haben bei einer Fahrt nicht alle Ampeln Rot, realistisch sind 3 bis 4. Bei einem Radschnellweg werden Ampelschaltungen an den Radverkehr angepasst, um die Wartezeiten zu reduzieren. Zudem gibt es technische Einrichtungen, die Radfahrern bestimmte Geschwindigkeiten empfehlen, um eine Grüne Welle zu bekommen.

    Geradezu irreführend ist die Darstellung der Verwaltung mit 10 Kreuzungen von der Schussenstraße bis zur Moosbrugger Straße mit je 30 s Verlustzeit, also insgesamt 5 min Verlustzeit (siehe Bild 3). Hier werden auch Kreuzungen, an denen der RS9 Vorfahrt hat, mit 30 s Verlustzeit gewertet, z. B. Ravensburger Straße/Bleichestraße.
  2. Konflikte mit Fußgängern werden an der L313 durch den Radschnellweg deutlich entschärft, da dann keine 4-spurige Kfz-Straße mehr überquert werden muss. Insbesondere bei der Variante V1 können Fußgänger die Fahrradstraße problemlos überqueren. An besonders frequentierten Stellen können Zebrastreifen angebracht werden; extra Fußgängerampeln sind unnötig.
  3. Bei V1/V2 ist die von Bussen und RS9 auf der L313 gemeinsam genutzte Strecke 2,5 km lang (Charlottenplatz bis Abzweigung Kuppelnaustraße in Ravensburg). Bei der Trasse V3 sind es aber auch 1,5 km (14-Nothelfer bis Kuppelnaustraße). Eine separate Busspur ist daher auch bei V3 nicht möglich.
  4. Grundstücksausfahrten sind sowohl bei V1/V2 als auch bei V3 in ähnlich großer Zahl vorhanden und müssen bei der Planung berücksichtigt werden.
  5. Derzeit gibt es auf der L313 links und rechts je einen Radweg von 1,6 m Breite, also 3,2 m für den Radverkehr. Das reicht nicht! Laut ERA 2010 [3] müssten es für normale Radwege je 2 m, also 4 m sein. Mit einem Radschnellweg sind es bei V1 aber auch nur 4,6 m, bei V2 allerdings je 3 m, also 6 m.
  6. Durch den Bau des Radschnellwegs besteht endlich die Chance, die alte B30 rückzubauen. Wenn der RS9 dort nicht gebaut wird, sehen wir die Gefahr, dass die L313 auf weite Strecken eine überdimensionierte 4-spurige Kfz-Straße bleibt, die Weingarten zerschneidet.

Trasse V3

Die Trasse V3 finden wir nicht gut. Sie folgt dem altbekannten Schema: der Radverkehr wird ins Abseits geschoben. Zuerst wird der Kfz-Verkehr und vielleicht noch der Busverkehr berücksichtigt und dann schaut man, ob noch irgendwo Platz für die Fahrradfahrer vorhanden ist. Wir fordern dagegen eine attraktive Strecke für den Radverkehr, damit mehr Menschen das Fahrrad benutzen.

Als Vorteile bietet die Trasse V3 eigentlich nur die Anbindung des Hallenbads, des Gymnasiums und der Realschule Weingarten und die geringeren Kosten für Weingarten. Unsere Gründe gegen die Trasse V3:

  • Unzulässig viel Kfz-Verkehr: Die Trasse V3 eignet sich wegen des starken Kfz-Verkehrs nicht für einen Radschnellweg. Für von der Fahrbahn getrennte Rad­verkehrs­anlagen ist auf den Straßen nicht genügend Platz vorhanden. Somit bleibt nur die Ausweisung von Fahrradstraßen.  Schon jetzt wird die Führung des Rad­verkehrs auf der Fahrbahn der Daimlerstraße und der Lägelerstraße in Richtung Nord bzw. Ost nicht angenommen. Viele Radfahrer benutzen stattdessen fälschlich den linken Radweg.

    Eine Führung des Radschnellwegs auf Fahrradstraßen ist nach den Grundsätzen des Landes Baden-Württemberg wie auch bundesweiten Regelungen nur bis zu einer Kfz-Belastung von 2.500 Kfz/24 h zulässig [1]. Eine derart deutliche Verkehrs-Reduzierung von derzeit über 6000 Kfz/24 h in der Daimlerstraße erscheint uns ohne verkehrs­beschränkende Maßnahmen unrealistisch, da die Daimlerstraße über die Boschstraße eine der wenigen Zufahrtsstraßen des Wohngebiets Untere Breite darstellt. Wo sollen die Anwohner sonst aus ihrem Wohngebiet fahren? Zusätzlich wird die Daimlerstraße benutzt, um zu den Geschäften in der Ettishofer Straße zu kommen (Aldi, Lidl, Weinkauff, …) oder um zum Hallenbad zu fahren.

    Letztendlich ist eine entsprechende Reduzierung des Kfz-Verkehrs nur möglich, in dem sogenannte Modalfilter (Durchfahrtssperren durch Poller, Einbahnstraßen, Sackstraßen) in regelmäßigen Abständen eingebaut werden. Diese führen zu deutlicher Abnahme des Durchgangsverkehrs, ermöglichen jedoch weiterhin die Erreichbarkeit aller Gebäude und Einrichtungen. Solche Lösungen erscheinen nur stadtverträglich, wenn die entsprechenden Verkehrsverlagerungen nicht zu Problemen in anderen Straßen führen. Da uns bislang keine Planungen solcher Modalfilter bekannt sind, ist Variante 3 nicht umsetzbar – und vor allem nicht als Radschnellweg förderungsfähig.

    Besonders viel Verkehr gibt es kurz vor Schulbeginn: Lehrer fahren in den Parkplatz ein, Eltern bringen ihre Kinder zur Schule und halten kurz auf der Fahrbahn, Schulbusse bringen viele Schüler, die die Fahrbahn überqueren müssen, Handwerker fahren mit Lkw zu Baustellen. Gerade zu dieser Zeit wollen aber auch viele Radfahrer den Radschnellweg auf dem Weg zur Arbeit nutzen. Sie werden dann im Bereich der Schulen ausgebremst.

    Auch auf der Lägelerstraße gibt es durch den Kindergarten Wirbelwind, das KBZO, den STABILO Baumarkt und das Wohngebiet westlich des KBZO erheblichen Kfz-Verkehr, der für eine Fahrradstraße reduziert werden müsste.

    Wir befürchten, dass eine erhebliche Verringerung des Kfz-Verkehrs nicht erreicht wird und dann viele Radfahrer trotz Fahrradstraße lieber den Gehweg benutzen werden. Damit wäre der Radschnellweg in diesem Bereich ad Absurdum geführt.

  • Umweg: Die Strecke bedeutet einen Umweg von 500 m und einen Zeitverlust von ca. 2 Minuten. Bezogen auf die 3,2 km des RS9 durch Weingarten bedeutet dies eine Verlängerung um ca. 15%; auch die Fahrzeit verlängert sich um ca. 15%. Fußgänger und Radfahrer reagieren besonders empfindlich auf Umwege, da sie die zusätzlich benötigte Energie im Gegensatz zu einer Autofahrt unmittel­bar spüren und vermeiden wollen. Dies erkennt man oft an Trampel­pfaden, die Umwege abkürzen (siehe Bild 6). Wie die Verwaltung die längere Fahrzeit bei V3 als Vorteil dieser Trasse darstellen kann (siehe Bild 10, Qualität) ist unverständlich.

    Somit besteht die Gefahr, dass ein Radschnellweg mit Umweg nicht, wie gewünscht, Menschen dazu bewegt, aufs Rad umzusteigen, sondern nicht verwendet wird. Es wäre schade, wenn die erhebliche Investition in den Radschnellweg nicht optimal genutzt würde.
  • Viele Zufahrten und Einmündungen: Auf der Trasse V3 gibt es besonders viele Zufahrten und Einmündungen, die gefährlich sind und den Verkehr ausbremsen. Insbesondere auf der Südseite der Lägelerstraße gibt es mehr als 60 Hauszufahrten und Querparkstände (siehe Bild 7). Querparkstände sind besonders problematisch wegen der eingeschränkten Sicht der Kfz-Lenker beim Ausparken und sollten an Radschnell­verbin­dungen eigentlich vermieden werden. Beim Vorschlag V1 einer separaten Fahrradstraße parallel zur L313 wurden von der Verwaltung zu viele Zufahrten bemängelt, bei der Trasse V3 scheinen sie nicht zu stören.

    Abbiegende Fahrzeuge müssen häufig auf Gegenverkehr achten und warten. Dabei versperren sie die Straße und verhindern so den Verkehrsfluss auch für den Radverkehr (wie derzeit schon auf dem Schutzstreifen, siehe Bild 8).
  • Die Innenstadt von Weingarten wird weiträumig umfahren: In der Innenstadt von Weingarten befinden sich viele Geschäfte, Arztpraxen und Behörden. Auch diese Ziele sollen vermehrt für den Radverkehr erschlossen werden. Die Trasse V3 führt aber die Radfahrer in weitem Bogen um die Innenstadt herum. Das erinnert ein bisschen an 1850 als in Weingarten niemand die Eisenbahn wollte und die Südbahn daher weit weg von Weingarten gebaut wurde.
  • Schwieriger Umbau der Abzweigung St.-Konrad-Straße/Ravensburger Straße: Genau für die Trasse V3 ist der so gescholtene Plan mit Linksabbiegespur für Radfahrer notwendig. Radfahrer müssen in Fahrtrichtung Nord eine Kfz-Spur überqueren, um auf die Linksabbiegespur zu kommen.
  • Kosten: Die Radwege an der L313 müssten trotzdem auf den Standard der ERA 2010 ausgebaut werden: 2 m Radweg + 50 cm Sicherheitstrennstreifen zur Fahrbahn je Richtung. Das sind hohe Kosten zusätzlich zum Bau des RS9 auf der Trasse V3. Wir befürchten, dass für den Ausbau der Radstrecke an der L313 dann das Geld fehlt und z. B. die fahrradunfreundliche Kreuzung Waldseer Straße/Niederbieger Straße/Schussenstraße bestehen bleibt wie sie ist.
  • Wartezeit an Ampeln: Es gibt nur eine Ampel-Kreuzung und zwei Fußgänger-Ampeln weniger bei Trasse V3 als bei der Variante V1/V2 (siehe oben V1/V2, Nachteile, Pkt. 2). Die Wartezeiten an Ampeln sind nur unwesentlich kürzer als bei V1/V2.
  • Konflikte mit dem Busverkehr müssen auch bei der Trasse V3 gelöst werden, da zwischen 14-Nothelfer und Stadtgrenze Ravensburg Buslinie und Radschnellweg gleich verlaufen. In Weingarten liegen insgesamt fünf Bushaltestellen auf der Trasse V3.

Tabellarische Gegenüberstellung der Varianten

Im Gegensatz zur Verwaltung (siehe Bild 10) kommen wir zu einer völlig anderen Einschätzung bei einer Gegenüberstellung der Varianten.

 

V1/V2

V3

Direkte Linienführung

+ 3,2 km, 500 m kürzer,
Umwegfaktor: 1,1

- 3,7 km,
Umwegfaktor: 1,3

Zeitbedarf

+ 8 - 9 min, 15% schneller

- 10 - 11 min

Quellen, Ziele

+ zentrale Führung durch Weingarten, viele Quellen/Ziele werden erschlossen, insbesondere die Innenstadt

- abseitige Führung, Innenstadt wird nicht erschlossen, aber Schulen und Hallenbad
 

Nutzungspotenzial

+ 5100 – 6300 Radfahrten/Tag

- ?

Kosten, Aufwand

-- hoch: Straßenraum der L313 muss durch Umbaumaßnahmen neu geordnet werden

- hoch: auch bei V3 müssen die Radwege an der L313 um-gebaut werden, insbesondere die Führung an Kreuzungen

Konflikt mit
Autoverkehr

+ gering durch eigene Fahrspuren oder Fahrradstraße mit wenig Kfz-Verkehr,
7 – 8 Ampel-Kreuzungen,
viele Zufahrten von Anwohnern

-- unzulässig hoch durch gemeinsame Nutzung des Straßenraums, insbesondere zu Schulbeginn,
6 – 7 Ampel-Kreuzungen,
viele Zufahrten von Anwohnern, Querparkstände

Konflikt mit
Busverkehr

- Konflikt mit Busverkehr auf L313 auf 2,5 km, separate Busspur nicht möglich

- Konflikt mit Busverkehr auf L313 nur auf 1,5 km, separate Busspur nicht möglich

Konflikt mit
Fußgängern

+ gering, da Radwege einfacher zu queren sind als 4-spurige Str.

+ gering, da Fahrradstraße einfach zu queren ist.

Quellen:

[1] Ministerium für Verkehr, Baden-Württemberg: Qualitätsstandards für Radschnellverbindungen in Baden-Württemberg, Leitfaden für Planung, Bau und Betrieb, 27.5.2022
https://www.aktivmobil-bw.de/fileadmin/user_upload/1_Radverkehr_in_BW/i_Radschnellverbindungen/Anlage_1_Qualitaetsstandards_RSV_052022.pdf

[2] Regionalverband Bodensee-Oberschwaben: Machbarkeitsstudie für eine Radschnellverbindung im Verdichtungsraum Ravensburg / Weingarten – Friedrichshafen, 26.3.2019
https://www.rvbo.de/Projekte/Radschnellverbindung-Friedrichshafen-Baindt

[3] Empfehlung für Radverkehrsanlagen, Ausgabe: 2010 (ERA 2010), FGSV Verlag
ISBN: 978-3-941790-63-6

[4] Sachstandsbericht der Stadtverwaltung Weingarten über die Radschnellverbindung FN-Baindt vom 6.10.2023

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